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  3. Mit dem Werbeverbot im Saarland zeigt die Politik, dass sie jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit verloren hat

Meinung Corona-Verordnung

Werbeverbot soll Saarländern die letzte Shopping-Freude austreiben

Kombo Schlußverkauf Jan Schnellenbach Kombo Schlußverkauf Jan Schnellenbach
Winterschlussverkauf im Saarland fällt aus - aus Sicht des Ökonomen Jan Schnellenbach ein Zeichen überzogener Autorität
Quelle: picture alliance / dpa / Ina Fassbender; Brandenburgische Technische Universität
Im Kampf gegen Corona kommt der Politik jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit abhanden. Jetzt dürfen im Saarland Produkte des nicht täglichen Bedarfs nicht mehr beworben werden. Soll das hilflose Autoritätsgehabe vom Impf- und Organisationsversagen der Regierung ablenken?

In der Pandemie muss die Politik Dinge beschließen, die wir Bürgerinnen und Bürger als Freiheitseinschränkung empfinden. Mobilitätsreduktion, geschlossene Restaurants, Geschäfte und Fitnessstudios – all das ist für uns ärgerlich und für Unternehmer und Selbstständige bedrohlich.

Zeitlich beschränkt auf Phasen hoher Ansteckungsraten, sind solche Maßnahmen aber auch nachvollziehbar und durch empirische Evidenz gedeckt.

Wenn nun der Lockdown bereits herrscht und mehr oder weniger alles geschlossen ist, nimmt jedoch höchstwahrscheinlich auch der zusätzliche Nutzen von immer weiteren Freiheitseinschränkungen ab. Natürlich kann man mit weiteren Auflagen immer noch ein oder zwei Kontakte und damit potenzielle Ansteckungen mehr verbieten.

Aber die Verhältnismäßigkeit überzeugend darzulegen ist dann Bringschuld der Verbotsbefürworter.

Bräsige Politik, die stets nach Ausreden sucht

Auf der anderen Seite stehen Bürgerinnen und Bürger, die im vierten Monat des Lockdowns an der Grenze ihrer Toleranz für eine Politik sind, die seit dem letzten Sommer alles verschlafen hat, was als kluges, vorausschauendes Handeln einen zweiten Lockdown hätte verhindern oder verkürzen können. Wir testen so wenig wie kein anderes Land in Mitteleuropa, haben eine nutzlose, aber teure Corona-App, impfen ausgesprochen langsam.

Für die Bürgerinnen und Bürger, die seit Monaten ausbaden, dass eine bräsige Politik stets nach Ausreden sucht, warum sie nicht von erfolgreicheren Ländern lernen will, sind verbliebene Freiheiten ein kleines und wertvolles Fenster zur Normalität. Dazu gehören auch ganz triviale Dinge. Wie die Möglichkeit, beim glücklicherweise noch offenen Discounter mal etwas kaufen zu dürfen, das nicht zum „täglichen Bedarf” gehört. Und ebenso die Möglichkeit des Discounters, uns durch Werbung darauf aufmerksam zu machen.

Im Saarland aber gab die dortige Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) gestern bekannt, dass sie ein Werbeverbot verhängt. Produkte, die nicht den „täglichen Bedarf” decken, dürfen nicht mehr beworben werden.

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Damit möchte man verhindern, dass Konsumenten extra zum Laden gehen, um die beworbenen Produkte zu kaufen. Denn das wäre ja ein weiterer Auslöser potenziell ansteckender Kontakte.

Auf der rein sachlichen Ebene kann man darauf antworten, dass Einkaufen in diesen Zeiten ohnehin wenig Spaß macht und wohl die meisten Einkäufe von beworbenen Produkten nebenbei stattfinden, wenn man sowieso losmuss. Die Zahl der tatsächlich durch ein Werbeverbot verhinderten Ansteckungen dürfte minimal sein.

Gefallen am autoritären Handeln

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Auf der politischen Ebene ist ein solches Handeln bedenklich. Im besten Fall zeigen sich hier bürokratische Scheuklappen. Man ist nur noch auf das eine Ziel der Kontaktminimierung aus, verzichtet dabei auf Abwägung von Kosten und Nutzen und merkt nicht mehr, wenn man zu weit geht.

Auch eine weniger wohlwollende Interpretation ist möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Politikerinnen und Politiker in den letzten Monaten Gefallen am autoritären Handeln gefunden haben.

Auch in diesem Fall hat sich eine innere Handbremse gelöst. Aber wenn es so ist, werden wir nach der Pandemie viel damit zu tun haben, diesen neuen Stil wieder einzufangen. Was in Zeiten der Pandemie ein notwendiges Übel sein kann, darf nicht als politische Tugend verstanden werden.

In jedem Fall würden sich die meisten Bürgerinnen und Bürger sicherlich freuen, wenn Ministerin Rehlinger und ihre Kollegen ihren bürokratischen Perfektionismus, den sie in den Details der Kontaktverhinderung zeigen, in eine produktivere Richtung lenken würden.

Arbeit gäbe es genug, und zwar da, wo es nicht um eine weitere Einschränkung von Freiheiten, sondern um deren Ermöglichung ginge. Bei Teststrategien, dem Schutz von Altenheimen, der schnelleren Beschaffung von Impfstoff – die Liste der Themen, die die Politik seit dem Ende der ersten Welle zulasten der Bürgerinnen und Bürger vollkommen verschlafen hat, ist lang.

Auf diesen Gebieten wären allerdings anstatt eines autoritären Habitus Kreativität und Innovationsgeist gefragt, die natürlich nicht jedermann gegeben sind.

Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg

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